Aus dem Leben der vor uns Kämpfenden - ­für ­unser Leben ­als ­Kämpfende

1.  Geschichte von Sr. Dorothy Stang

Es war ein 12. Februar, so wie gestern. Es war an einem Ort menschen- und naturverachtender massivster Zerstörung. Es könnte deshalb hier gewesen sein. Auf einer nicht sehr weit entfernten Straße donnerten Fahrzeuge, bis über den Rand beladen mit braunem Gold vorbei. Die Luft war voll vom Staub der Verwüstung

Es war so um die 40° Celsius warm. Die Luftfeuchtigkeit war gleichzeitig sehr, sehr hoch und trotzdem war der überall präsente Staub nicht grau und hell von Kalk und Zement, sondern rötlich wie von Saharasand. Deshalb kann es nicht in Lützerath im Februar 2020 gewesen sein, es war in der Nähe der Straßensiedlung Anapu in Amazonien im Bundesstaat Pará. Das braune Gold war keine Braunkohle, sondern gefällte Mahagoni- und Palisander-Baumstämme.

Szenenwechsel:

Im Jahr 1966 war eine fünfunddreissigjährige Frau aus dem Orden der Schulschwestern von Namur nach Brasilien gekommen. Sie hatte zuvor für ihren Orden als Grundschullehrerin in verschiedenen Schulen gearbeitet. Im größten lateinamerikanischen Land sollte sie nun die verbleibenden 39 Jahre ihres Lebens verbringen – in der Gemeinwesenarbeit mit den kleinen Besitzbauern, in der Verteidigung des sensiblen Ökosystems.

Nachdem sie zuerst an den bereits stark zerstörten Rändern des Amazonas in Coroatá in Maranhao gearbeitet hatte, kam sie in den typischen Amazonasort Anapú. Sie gründete das erste Lehrerinnen-Bildungsinstitut an der Transamazonica. Später gab sie unter dem Eindruck des arrangierten Golfkrieges ihre amerikanische Staatsbürgerschaft auf. Im Zentrum ihres Handelns standen die Rechte der armen BäuerInnen im Amazonasgebiet und – in der heutigen Sprache gesagt – die Rechte der zutiefst bedrohten Natur.

Am 12. Februar 2005 hatte sich Dorothy mit dem Bauern Ciero verabredet, um zu einer BäuerInnen-Versammlung zu gehen, auf der sie schlecht ausgebildete BäuerInnen über ihre Rechte aufklären wollte. Ciero hat sich schlicht und einfach verpennt. Er gab Fersengeld und konnte nach einiger Zeit die Schwester vor sich gehen sehen. Er beobachtete, wie sie von 2 Männern angesprochen wurde und konnte folgenden Wortwechsel hören. „Haben Sie eine Waffe, Schwester?“ – „Nein, meine Waffe ist die Bibel!“ Daraufhin nahm Dorothy die Bibel aus ihrer Tasche und begann, die Seligpreisungen vorzulesen: „Felizes os que têm fome e sede de justiça, porque serão saciados“ – in Bonhoeffers Version: Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr.

Dann schoss einer der Männer mit seiner Waffe auf die Schwester, er leerte dabei sein Magazin – sie wurde von mindestens 6 Kugeln getroffen.

Die Mörder waren von Sägewerksbesitzern gedungen, denen die Schwester mit ihrer Arbeit einen Strich durch ihre Rechnung rücksichtsloser Ausbeutung von Mensch und Natur gemacht hatte.

 

2. Parallelen zwischen der Realität im ökologisch bedrohten Amazonas und der Realität am Braunkohletagebau

Schwester Dorothy lebte in einer ähnlichen ökologischen Katastrophe wie wir hier. Im Jahr 2005 hatten nach Jahrzehnten des Kampfes die ersten schüchternen Versuche brasilianischer Umweltbehörden gegriffen, die Abholzung begann zurückzugehen. Ganz Brasilien war voller Hoffnung angesichts der linken Regierung des charismatischen Präsidenten Lula, der der erste nicht weiße, nichtakademische, nicht aus der Oberschicht stammende Präsident Brasiliens geworden war.

Vielleicht war gerade das Dorothy Todesurteil, weil sie den Bauern Hoffnung machte und weil sie nicht aufhörte, die Naturzerstörung zu brandmarken. Sie lebte im Bundesstaat Para, relativ nahe an der Atlantikküste.

Der Amazonas-Regenwald ist ein biologischer Irrtum, eine Laune der Natur. Als der Urkontinent auseinanderdriftete, wurde ein Stück Sahara solange nach Südwesten getrieben, bis es an den sich auftürmenden Anden zum Stehen kam. Der mitgenommene Rest Ozean begann wieder abzufließen, Richtung Osten durch das mitgenommene Stück Sahara. Deshalb ist der Amazonasfluss voller Süßwassertiere, die eigentlich in den Atlantik gehören, wie z.B. den Flussdelfinen. Auf dem Sand dieses großen Stückes Sahara entstand von Osten her eine fragiles Waldsystem: Der Amazonasurwald, das sind 50 Meter hohe Bäume auf einem halben Meter Humus, darunter ist Sand. Die Bäume bleiben am Leben, weil der Wald wieder und wieder von Osten her Wasser aus dem Meer aufnimmt und es mittels der Evapotranspiration nach Westen transportiert. Wird die östliche Kante des riesigen Waldes völlig vom Atlantik abgeschnitten, vertrocknet der Wald und die kleine Laune der Natur ist zu Ende. Zu Ende ist dann auch die größte CO2-Senke der Erde.

Brasilianische Glücksritter interessiert das nicht, dafür ist das Leben in den Tropen auf den ersten Blick zu hart, zu kurz und wird von ihnen zu sehr als ein Kampf mit der „Selva“, der Wildnis interpretiert. Die Landschaft nicht sofort zu verwerten, ist in ihren Augen Schwachsinn, der Rubel muss rollen. Opfer sind die KleinbäuerInnen, die sich mit dem Wald arrangieren, die in ihm die Schöpfung Gottes sehen, wenn sie Christen sind oder die den Wald als ihre Mutter Erde auffassen, wenn sie sich den Glauben ihrer Mütter bewahrt haben.

Die GroßgrundbesitzerInnen und Glücksritter leben in einer vernetzten Oligarchie, sie stellen die Politiker, die Richter und die Staatsanwälte und sie kaufen sich die PolizistInnen. Einiges davon kommt uns bekannt vor: Hier in Lützerath zählt es nicht, dass ein Bauer seinen fruchtbaren Boden behalten will und ihn fruchtbar erhalten will. Hier zählt es nicht, dass das Baggern erkennbar keine Zukunft hat und sogar die Zukunft von BäuerInnen in Peru infrage stellt, so wie die Bedrohung des Amazonas das Weltklima völlig infrage stellt. Auch nach Lützerath sind mutige Menschen so wie Schwester Dorothy gekommen und haben sich in den Baumhäusern entlang der alten L277 Gefahren ausgesetzt. Auch hier in Lützerath haben wir am 18. Februar des vergangenen Jahres PolizeibeamtInnen die Worte der Bibel entgegengerufen. Manches ist bei uns auch anders… und bleibt hoffentlich anders…

Im Hintergrund steht der Mann aus Nazareth, der auch in der Ahnung seines primären Scheiterns weiter gemacht hat, der einer größeren Gerechtigkeit verpflichtet war, und der so wie – nach meinem Glauben - Schwester Dorothy zur größeren Gerechtigkeit gefunden haben soll. In beiden Menschen tritt uns das Göttliche im bedingungslos Guten entgegen: „Vater, vergib ihnen was sie tun…“ bei Jesus Christus und „Selig sind die, die Gerechtigkeit suchen, denn ihrer ist das Himmelreich.“

 

3. Wie stärkt uns der Zugang zur Geschichte des bedingungslos Guten in den letzten Lebensmomenten von Schwester Dorothy?

Es tut unendlich gut, sich an Dorothy Stang zu erinnern. Ihre Geschichte ist rührend in einem weitergehenden Sinne. In dem wir hier dafür sorgen, dass sie nicht vergessen wird, geben wir all den Vergessenen im Kampf für Gerechtigkeit ihr Gesicht wieder. So sehen wir hier, nicht weit vom Hambacher Wald, neben ihrem Gesicht im Geiste das Gesicht von Steffen Meyn. Sie war eine weiße Nordamerikanerin, wohl deutscher Abstammung. Heute steht ihr Gesicht stellvertretend für alle hier vor uns. Sie gibt uns Mut, sie hat niemals aufgegeben und sie hätte niemals aufgegeben – sonst hätte sie nicht im Angesicht des Todes etwas über die Seligkeit vorlesen können.