Andacht der Fassunglosigkeit II

Sonntag, 27.2.22: Prozession und Andacht zu den Rodungen RWEs vom 21.2.22

 

Gnade sein mit Euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da sein wird

Der Text, den wir hörten, handelt vordergründig von der babylonischen Herrschaft, einer Zeit der Unterdrückung, Gewalt und Vertreibung durch eine überlegene Macht.

Doch eigentlich gemeint war Rom und eine solche Kritik zu üben war lebensgefährlich. Das Römische Imperium stellt alles bisher dagewesene in den Schatten: Es umfasste fast die ganze damals bekannte Welt. Wenige herrschten mit brutaler Gewalt – offen und auch versteckt durch Willkür und Angst, aber auch durch Intrigen und die Vergabe von wirtschaftlichen Privilegien. Die Herrscher vergöttlichten sich, ließen sich anbeten, sie versklavten die Menschen – manche freiwillig, die meisten gezwungen. Es dauerte Jahrhunderte und kostete viele Menschenleben, bis dieses Imperium zugrunde ging. Aber an dem grundlegenden System – wenige herrschen über die Vielen – änderte sich nichts, auch wenn es immer wieder Aufbrüche gab hin zu einer anderen Welt.

Vor knapp einer Wochen standen hier noch Bäume, war hier Leben. Heute ist hier nur noch Zerstörung: Die Bäume, der Lebensraum, den sie boten – getötet, an einem Tag vernichtet durch RWE, vernichtet einzig für ihren Profit.

Die Bilder dieser Zerstörung von Leben sind kaum zu ertragen. Und wir sehen sie überall auf der Welt. Die Versuchung wegzusehen, sich davor zu verschließen, ist riesig. Das Leben wäre doch so viel einfacher.

Doch das ist keine Option. Wir müssen hinschauen, müssen es anschauen und ertragen. Hier, an den Tagebauen, zeigt RWE, zeigt der Kapitalismus, der Neoliberalismus offen seine hässliche Fratze – grausam, brutal, lebenzerstörend. Einzig auf den Profit weniger fokussiert wird alles, wirklich alles zur Ware – ohne Verantwortung für die Folgen. All das tritt uns Tag für Tag meist verschleiert, geschönt gegenüber und will uns so blenden mit der Verheißung auf ein gutes Leben. Wie die römischen Kaiser verlangt dieser menschgemachte Götze Anbetung und Unterwerfung und alles, was ihm nicht dienlich ist, wird ausgegrenzt und ausgesondert.

Und wir alle sind darin verstrickt – mehr oder wenigen, ob wir wollen oder nicht, einfach mit unserer Existenz. Dieses System macht uns damit gezielt zu Tätern – und zu Opfern durch Entfremdung und den Verlust unserer Menschlichkeit, der Empathie. Bei vielen – aber nicht allen – heißt das: Profitieren mit schlechtem Gewissen und dem Bewusstsein der eigenen Hilflosigkeit, allein etwas an den Zuständen ändern zu können. Das ist der perfide Trick, der Menschen in die Resignation treibt, sie vor den Strukturen kapitulieren lässt, sie die Hoffnung auf Veränderbarkeit verlieren lässt – und um damit gleichzeitig jeden Verantwortung von sich zu weisen.

Und deshalb ist es so wichtig, dass wir uns dieses weltumfassende, mächtige, zerstörerische System immer wieder anschauen. Das wir seine Opfer betrauern, uns dem Schmerz aussetzen im Bewusstsein der eigenen Verstrickung. Um dann gemeinsam wieder aufzustehen, unsere Stimmen erheben und anklagen – immer wieder und wieder!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen in Jesus Christus, unserem Bruder.