Der Immerather Dom: „Landmarke im Herzen“

Predigt zum politischen Gebet vor dem Immerather Dom, 07. Januar 2018

 

Plattgemachte Häuser, Straßenzüge die von der vorherigen Bebauung zeugen, umgesägte Bäume, wacklige Straßenlaternen, graue Bauzäune, wartende Bagger. Das Bild was sich uns hier in Immerath, oder was davon noch übrig geblieben ist, heute zeigt, lässt sich mit einem Wort beschreiben: Zerstörung. Eine Zerstörung, die es in Immerath und zahlreichen anderen Ortschaften gibt, weil es ein „höheres Interesse“ an Braunkohleverstromung als an Lebensraum gibt: Weil Energiesicherheit mehr wiegt, als gewachsene Sozialstrukturen und einzigartige Wälder wie der Hambacher Forst.

Doch die Zerstörung ist weltumfassend und die Folgen des Klimawandels haben vor allem im globalen Süden lebensbedrohliche Auswirkungen. Profitmaximierung und Kapitalinteressen stehen eben vor Mensch und Natur. Es ist eine Zerstörung, die seit Jahrzehnten geplant, genehmigt, politisch gedeckt und repressiv umgesetzt wird. Und diese Choreografie der Zerstörung soll nun ab morgen durch den Abriss des Immerather Doms vervollständigt werden. Auch dieses monumentale Wahrzeichen soll den Baggern zum Opfer fallen.

 

Die mittelalterliche Vorgänger-Pfarrkirche befand sich seit dem 12. Jahrhundert an dieser Stelle in der Mitte Immeraths, wo heute der neuromanische Kirchbau St. Lambertus von 1891 steht. Dieser überregional bekannte Bau ist einer der wenigen erhaltenen Werke des Architekten Erasmus Schüller, der während der Bauarbeiten in jungen Jahren verstarb.

 

Wenn ab morgen die Abrissbirnen zu Werke schreiten, wird von diesem 127-jährigen Bau nichts mehr übrig sein, in dem unzählige Menschen gebetet, gefragt, gezweifelt und gehofft haben, getauft und getraut wurden, an deren Leben nach ihrem Tod hier gedacht wurde.

 

Wir haben eben den Psalm 118 gehört, in dem ein Menschen beschreibt, wie er von Verfolgern, die ihn wie Bienen umschwirren, bedroht wird. Er sagt sogar, dass alle Völker ihn umringen. Er wird gestoßen und stürzt. Die Feinde sind übermächtig. Sie zertreten diejenigen, denen es um die Gerechtigkeit geht. Repression ist immer das Mittel der Herrschenden gegen jene, die sich von unten aufrichten.

 

Am eigenen Leib erfahren dies diejenigen, die die Legitimität des Raubbaus an Mensch und Natur anzweifeln und sich dagegen wehren. Sie werden von RWE und IG-BCE als Öko-TerroristIn beschimpft oder juristisch belangt.

 

Bildlich gesprochen wird auch dieser Dom morgen von einer Übermacht niedergerissen. Eine Übermacht, der sich die Mauern, die beiden beeindruckenden Türme und die Säulen im Innern nicht wehren können. Sobald die Maschinen anrücken, wird alles unwiederbringlich zusammenfallen.

 

Der Psalmist bringt jedoch eine hoffnungvolle Wendung: „Ein Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden.“ Das was zerstört wird, was wertlos gemacht wird, kann zum entscheidenden Eckstein für etwas Neues werden.

 

Die Grunderfahrung, die dieser Mensch im Psalm 118 beschreibt ist, dass Gott ihm Weite eröffnet hat, nicht in der Furcht zu verharren und die Frage zu stellen: „Was können Menschen mir antun? … Besser, sich zu bergen beim Herrn, als auf Menschen zu vertrauen. Besser, sich zu bergen beim Herrn, als auf Fürsten zu vertrauen.“ Der Psalmist setzt eben nicht auf die Macht der Herrschenden, sondern auf diesen Gott der Befreiung, über den er sagt: „er ist für mich zum Retter geworden“. Es ist der Gott Israels, der einst aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Deswegen sagt er hoffnungsfroh angesichts seiner Bedrohungslage: „Ich werde nicht sterben, sondern leben, um die Taten des Herrn zu verkünden.“

 

Dass Leid und Zerstörung ein Ende haben können, dass Mensch und Natur zu ihrem Recht kommen können, ist die Perspektive, die aus diesem Psalm spricht. Sie ist auf der Erinnerung an das Befreiungshandeln Gottes gefußt und entwirft die Utopie eines möglichen guten Lebens in Fülle für alle. Dieser Psalm stellt sich der Widrigkeit der Verhältnisse, stellt dem jedoch die Notwendigkeit der Veränderung gegenüber. Aus dem verworfenen Stein kann der Eckstein werden.

 

Wenn die Steine dieser abgerissenen Kirche nur noch ein Trümmerhaufen sind, sind sie Steine des Anstoßes. Dann können sie Ecksteine dafür sein, dass sie den Blick dafür öffnen, nicht auf die Fürsten – das heißt auf die Laschets und RWE-Vorstände – zu vertrauen. Es können Ecksteine dafür sein, dass wir damit fortfahren den Skandal dieser Zerstörung in Immerath, Keyenberg, Kuckum, Berverath, Unterwestrich, Oberwestrich, Manheim und Morschenich anzuklagen. Der Trümmerhaufen dieses Domes wird in ein paar Tagen ein Mahnmahl dafür sein, dass der Einsatz für Klimagerechtigkeit weitergehen muss. Sie können Ecksteine dafür sein, zu verstehen, dass es in diesem globalen kapitalistischen System nicht ohne Ausbeutungsverhältnisse auf Kosten von Mensch und Klima geht. Denn diese Wirtschaft basiert auf Gewinnmaximierung und Kapitalanhäufung, deren einkalkulierte unmenschliche Konsequenzen wir hier vor Augen geführt bekommen.

 

Sie können uns als Ecksteine, so wäre zu hoffen, aber auch zum Handeln anstiften. Sie können uns zu Mut und Kreativität herausfordern, um uns gegen eine solche Politik und Wirtschaftsordnung einzusetzen, die Leben zerstören statt zu schützen. Sie können uns konkrete Schritte weisen, uns in vielfältigen Aktionsformen auch hier in der Region dem Kohlewahnsinn entgegenzustellen. Das erfordert vereinte Kräfte. In diesem Sinne hoffen wir darauf, dass dieser verworfene Dom ein Eckstein dafür ist, dass die Welt als das gemeinsame Haus bewohnbar wird.