„Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht, Gehorsam aber zu Verbrechen.“

Predigt  vom 3.4.2022

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da sein wird.

 

Wir sind heute in Lützerath, weil das Oberverwaltungsgericht Münster am Montag sein Urteil verkündet hat. Die „vorzeitige Inbesitznahme“ durch RWE, und damit die Erlaubnis für RWE, zu roden, zu räumen, Häuser abzureißen, entspricht dem Urteil nach den Gesetzen. Die Richter haben „Recht“ gesprochen – ein Recht, das wir zutiefst als Unrecht empfinden.

 

„Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Diese Worte standen bis zu dem Polizeieinsatz im Frühjahr auf einem großen Transparent vor Eckardt`s Hof. Sie werden meist Bert Brecht zugeschrieben, doch sie stammen nicht von ihm selbst. Papst Leo XIII. sagte sie vor gut 120 Jahren. Brecht hat das Zitat verkürzt, vollständig heißt es: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht, Gehorsam aber zu Verbrechen.“

Papst Leo – der auch der „politische Papst“ genannt wurde – war eine ambivalente Persönlichkeit. Er befasst sich kritisch mit der katastrophalen Lage der Arbeiter*innen – und war gleichzeitig gegen Gewerkschaften. Er blickte auf das Verhältnis von Staat und Kirche und aus diesem Zusammen-hang stammt das Zitat. Dabei war Papst Leo nicht wirklich fortschrittlich, ihm ging es bei allem darum, die Institution Kirche wieder zu stärken.

„Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht – dieses Widerstandsrecht forderte er für – und von – den Christ*innen, wenn ein – wie er es nannte – „despotischer Herrscher“ gegen die christlichen Überzeugungen handelt, sie unterdrückt. Christliche Überzeugungen, dass waren für Leo auch Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Es sind Rechte – und es sind Verpflichtungen.

Das OVG Münster hat „Recht“ gesprochen. Nach den Buchstaben des Gesetzes, wie es immer so schön heißt. Die Diskrepanz zwischen „Recht“, „Gesetz“ und Gerechtigkeit wird gerade hier augenfällig deutlich. Nach welchem Recht, nach welchen Gesetzen wird hier geurteilt? Wer erlässt sie und wem dienen sie?

Gesetze sind Vereinbarungen, sie regeln das Verhalten innerhalb einer Gesellschaft. Sie sollen uns schützen vor Übergriffen auf unsere Person, unser Wohlergehen, unsere Freiheit, unseren Besitz. Sie sollen für alle gleich gelten, unabhängige vom „Ansehen einer Person“. Doch was ist, wenn das – zumindest in Teilen – nicht mehr zutrifft?

Die ersten drei Artikel unseres Grundgesetzes:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Wir alle bekennen uns also zur Würde des Menschen und den unveräußerlichen, universalen Menschenrechten, bei denen das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit ganz oben stehen. Doch diese Rechte werden jeden Tag mit Füßen getreten: Leid, Hunger, Krankheit und auch der Tod von Menschen werden billigend in Kauf genommen für „wirtschaftliches Wachstum“, vor allem und schon sehr lange im globalen Süden, aber auch hier in Europa. Die Klimakata-strophe fordert bereits jetzt ihre Opfer, und wir wissen, es ist erst der Anfang.

 

Das Urteil aus Münster ist also weder mit dem Grundgesetz, noch mit den universalen Menschenrechten in Einklang zu bringen. Statt dessen wird hier „Recht“ gesprochen auf Grundlage auch eines Gesetzes, das in weiten Teilen aus einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte stammt – dem Nationalsozialismus, unter dem für uns heute relevanter Teile des Bergrechts erlassen wurde. Das es für uns relevant ist, dafür hat Armin Laschet gesorgt, indem er die – angebliche – „energiepolitische Notwendigkeit der Braunkohle“ im sog. Kohleausstiegsgesetzt festschreiben ließ.

Staatliches Recht ist ein Kulturgut, ist immer kulturell geprägt – verschiedene Zeiten, unterschiedliche Gesellschaften haben unterschiedliche Gesetze. Das bedeutet aber auch, dass Recht und Gesetz auf gesellschaftliche Veränderungen und Notwendigkeiten reagieren muss, um weiterhin als gerecht, als legal gelten zu können. Wir wissen um die Erderwärmung und ihre katastrophalen Folgen. Wir wissen um ihre Ursachen, wissen, dass fossile Brennstoffe sie weiter anheizen. Gesetze, die ein „weiter so“ ermöglichen, müssen geändert werden. Nicht morgen oder übermorgen, sondern schnellstens. Die Politik, in deren Hand es liegt – wie das OVG Münster auch anmahnt – muss endlich reagieren, es ist schon lange überfällig. Doch bislang richtet sich die Politik vor allem an Wirtschaftsinteressen aus, die Zerstörung und Tod billigend in Kauf nehmen – wenn der Profit stimmt. Dazu noch einige Worte von Papst Leo: „Unehrenvoll und unwürdig ist es, Menschen bloß zu eigenem Gewinne auszubeuten.“ Papst Franziskus sagte es noch deutlicher: „Diese Wirtschaft tötet.“

„Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht, Gehorsam aber zu Verbrechen.“

Papst Leo richtete diese Worte an Christ*innen, wir rufen sie alle Menschen zu, die guten Willens sind, die das Unrecht sehen, das Tag für Tag Mensch und Natur – der Schöpfung insgesamt – zugefügt wird. Allein für den Profit weniger.

Die Tradition von Widerstand gegen ungerechte Verhältnisse ist lang. Immer wieder in der Geschichte standen Menschen auf. Die Menschen der Pariser Kommune erhoben sich gegen Krieg und soziale Ungerechtigkeit: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – der Ruf der Französischen Revolution. Und die Botschaft unseres Bruders Jesus, der immer an der Seite der Armen, Schwachen und Ausgebeuteten stand, an der Seite der „Verlierer“ des herrschenden Systems – und das ihn dafür tötete.

Sein Weg für Gerechtigkeit, für eine bessere Welt für alle, ist uns Vorbild, in seiner Nachfolge stehen wir. Deshalb leisten wir gemeinsam hier in Lützerath Widerstand gegen die Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen, die millionenfach Not, Leid und Tod über die gesamte Schöpfung bringt. Konkret für uns heißt das: Wir werden Lützerath und die Eibenkapelle mit unseren Körpern – und dem Kreuz – gegen jeden Zugriff von RWE verteidigen.

No pasaran – Lützerath bleibt!

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus, unserem Bruder.